5 Fragen an: „Tapas & Merlot“

Ist das noch Underground oder schon Feuilleton? Der neue Musik-Podcast im Interview.


In der deutschen Podcast-Landschaft regt sich etwas. In der Musik-Nische, die für gewöhnlich mit allerlei Gossip und News um neue Bands, Besetzungen und Releases gefüllt ist, sticht seit Anfang des Jahres das neue Projekt zwei junger Musikjournalisten hervor, das durch Liebe zum musikalischen Detail und einem unglaublichen Wissen zu allen möglichen Musikgenres überzeugt. Sei es Heisskalt (die Entwicklung der deutschen Post-Hardcore-Welle), Ho9909 (die neue Beziehung zwischen Punk und Rap), Touché Amoré (die Bedeutung des Künstlers für seine Kunst) oder Bilderbuch (wie progressiv darf Pop sein?) – Jakob Uhlig und Julius Krämer schaffen es, zu jedem Album, das sie besprechen, ein übergeordnetes Phänomen der Pop-Kultur zu besprechen. Dabei besticht neben ihrem Charme besonders ihre Leidenschaft und der persönliche Bezug zur Musik. Im Interview sprechen sie über ihre Intention, ihren Bezug zur Musik – und wieso sie gerne einmal Dieter Bohlen treffen würden.

 

 

Wieso macht ihr diesen Podcast? Was ist euer Anspruch?

 

Julius: Da antwortet man natürlich immer erstmal „wegen Geld“. Aber direkt an zweiter Stelle kommt auf jeden Fall, dass es zwar ziemlich viele Musik-Podcasts gibt, davon sich aber wenige im Bereich „Alternative Musik“ bewegen, also alles was so Gitarren-related ist. Außerdem reden viele über Menschen und nicht über die Musik. Ein Musik-Podcast, der sich nur damit beschäftigt, welche Band jetzt ein neues Album draußen hat und welcher Sänger jetzt aus welcher Band raus ist, hat ja genau genommen nichts mit der Musik an sich zu tun. Und das haben wir als Nische für uns gesehen. Der Ansatz ist dabei vor allem, zwei bestimmte Pole miteinander zu verbinden. Zum Einen die Fan-Perspektive – also ganz subjektiv, wie jeder Einzelne, der auf Konzerten ist und einfach Bands cool findet. Und auf der anderen Seite haben wir auch einen akademischeren, im weiteren Sinne tiefgreifenderen Bezug zur Musik. Oft sehe ich, dass Musik-Podcasts oder generell Musikjournalismus entweder sehr oberflächlich ist, oder es total verkopft ist und man eigentlich nur zu einer kleinen Elite redet.

 

Jakob: Wir nennen es ja liebevoll unseren „Underground-Feuilleton“. Das rührt für mich auf jeden Fall auch so ein bisschen aus den journalistischen Erfahrungen, die ich jetzt in den letzten Jahren gemacht habe. Im Feuilleton wird sehr oft nur eine bestimmte Art von Musik besprochen, nämlich „klassische Musik“. Doch auch, wenn ich das sehr gerne mache, spreche ich auf diese Art und Weise eben auch unglaublich gerne über andere Art von Musik. Und das ist auch ein Zugeständnis – dass Pop-Musik und Pop-Kultur genau so eine Art von Kunst sein können, wie es diese „Feuilleton-Kunst“ ist. Es gibt sowas zwar teilweise schon, aber wenn, dann nur ganz wenig und auch nur über sehr große Künstler. Es gibt so viele, wirklich spannende, kleine Künstler. Und die kriegen in einem großen Musikmagazin höchstens mal ’ne kleine Review am Rande. Aber da stecken Geschichten dahinter, die kein anderer erzählt und die sind mindestens genauso spannend, wie das, was große Künstler haben. Tapas & Merlot ist eine Plattform, wo wir das eben ausleben können.

 

 

Wer hört denn alles euren Podcast? Eure erste Folge, in der ihr über Heisskalt und deutschen Post-Hardcore redet, hat die Band ja sogar selbst geteilt.

 

Jakob: Ja genau. Wir haben auch festgestellt, dass wir durch diese Heisskalt-Folge schon ein bisschen verwöhnt gewesen waren, obwohl solche Klickzahlen natürlich absolut geil sind. Das hat echt krasse Auswirkungen gehabt, dass die Band das in ihrer Story hatte. Aber auch bevor die das geteilt haben, war es schon abgefahren, wie krass die Folge für unsere Verhältnisse abgegangen ist – also dafür, dass wir das einfach so out of nowhere gemacht haben. Wir haben da einmal so am Rand über die Band „Kind Kaputt“ gesprochen und plötzlich hat uns deren Gitarrist geschrieben, den wir vorher beide nicht kannten – am ersten Tag schon. Ich glaube zwar, dass unseren Podcast schon auch viele Nerds hören, aber vielmehr, dass wir bei vielen Menschen auch den inneren Nerd wecken. Zumindest haben uns relativ viele Leute geschrieben, dass wir genau das gesagt hätten, was sie eigentlich fühlen. Gerade bei dieser Heisskalt-Folge, mit der wir glaube ich einen Nerv getroffen haben. Ich schätze, deswegen sind auch einfach ganz viele leidenschaftliche Musikfans unter unseren Hörerinnen und Hörern dabei. Wir versuchen auch immer, das Ganze für jeden zugänglich zu machen, sodass es halbwegs nachvollziehbar ist. Meine Mama hört den Podcast auch immer und fragt mich dann immer alles, was sie nicht verstanden hat. Letztens hab ich ihr zum Beispiel erklärt, was Autotune ist.

 

Julius: Bildungslücke.

 

Jakob: Genau. Und wenn eine neue Folge rauskommt, merkt man auch, dass oft die Hörer des jeweiligen Albums, um das es ging, in den Statistiken von den Spotify-Insights nach oben gehen.

 

Julius: Ich glaube, dass auf jeden Fall viele dabei sind, die auch so nerdig unterwegs sind, und auch gerne so eine tiefgreifendere Auseinandersetzung mit der Musik haben. Aber viele kennen das Album dann auch schon lange und wissen damit viel anzufangen. Ich kenne das ja selber: Ich lese zum Beispiel mega gerne Kritiken über einen Film oder ein Album, das ich schon kenne. Wenn ich es noch nicht kenne, ist das immer alles so abstrakt.

 

 

Ihr habt jetzt wieder von der „Alternativen Musikszene“ gesprochen. Wie seid ihr denn selbst musikalisch sozialisiert worden? Und rechnet ihr euch zu irgendeiner Szene?

 

Julius: Also ich kam eher durch das Musikmachen zur Musik. Früher habe ich Kontrabass gespielt und habe dann mit Gitarre angefangen, was ich auch heute noch mache. In meinen Teenagerjahren hab ich dann ganz klassisch Green Day, Billy Talent und sowas gehört und war da schon in diese Punksache reingerutscht. Aber es war ehrlich gesagt auch nie so, dass ich gesagt habe: „So, ich bin jetzt der Punk in der Schule, fickt euch alle“, sondern ich fand die Musik halt cool. Die anderen haben die Musik auch gehört, bis ich irgendwann gemerkt habe, dass auf einmal alle Hip Hop hören und ich der Einzige war, der noch Oasis cool fand. Aus der Not geboren ist dann also auch bei mir eine Leidenschaft für Rap entstanden. Andererseits hat sich aber auch mein Interesse für alternative Gitarrenmusik immer weiter vertieft, bis ich dann irgendwann in Bonn angefangen habe, Musikwissenschaft zu studieren. Ich bin zum Visions-Magazin gegangen, war in Münster für 2,5 Jahre bei Uncle M… aber die anderen Sachen habe ich auch nie aus den Augen verloren.

 

Jakob: Ich hab mir speziell dazu in den letzten Tagen tatsächlich etwas mehr Gedanken gemacht und denke auch darüber nach, ein kleines Blogprojekt dazu zu machen. Julius hat mich neulich auf Instagram für diese Bill-Clinton-Swag-Challenge nominiert und da hab ich die vier Alben reingebracht, die vielleicht nicht meine absoluten Lieblingsalben sind, aber wo ich sagen kann, dass sie mich am heftigsten geprägt haben. Das erste ist ganz klar „Hybrid Theory“ von Linkin Park, das zweite „Toxicity“ von System Of A Down. Das war für mich das erste Mal, dass ich mich bewusst mit dem Anspruch einer Musik auseinandergesetzt habe und gemerkt habe, wie viele Gedanken und was für ein Skill hinter der Musik stecken kann. Generell war das glaube ich der Türöffner zu einer etwas vielfältigeren musikalischen Richtung. Noch stärker war das dann mit Fjørts „D’Accord“, das muss 2014 gewesen sein. Also extrem mieses Interesse für Post-Harcore, was immer noch relativ stark in mir schwebt, und was da glaube ich auch ganz viele Leute mitgenommen haben. Das war aber auch das erste Mal, dass ich Underground-Mucke gehört habe. Das vierte Album ist dann 2019 erschienen und ist „Bitter“ von Kora Winter, einer Band aus Berlin, von denen ich ein totaler Fanboy bin, das ist nicht mehr normal. Das war das erste Mal, dass ich in meiner musikjournalistischen Karrierre eine 10 von 10 vergeben habe. Der ausschlaggeben Grund dafür war, dass ich gemerkt habe, dass sich in vier Jahren Journalismus schon etwas in einem ändert, wenn man sehr viel Musik hört und Musik eben auf so eine Art betrachtet. Wenn ich neue Alben höre, merke ich, dass ich gleich versuche, sie zu analysieren oder in einen Kontext zu stecken. „Bitter“ war nach langer Zeit das erste Album, was ich beim ersten Mal hören einfach komplett gefühlt habe und nichts dabei denken musste.

Und zu einer Szene zähle ich mich nicht, zumindest nicht zu einer bestimmten. Man kennt ja doch ziemlich viele Leute, die immer auf den gleichen Konzerten abhängen, aber das sind fast alles Leute, die auch in der Branche arbeiten, habe ich gemerkt. Ich bin nie ein Punk gewesen oder ein Hardcore-Kid und ich studiere ja auch Musikwissenschaften. Ich schwebe praktisch immer zwischen diesen beiden Welten.

 

Julius: Ich denke da auch viel drüber nach und finde das mega schwierig. Manchmal habe ich das Gefühl, dieser Szene-Gedanke ist so ein bisschen outdated, bzw. hat sich einfach in dem Sinne verändert, dass man früher viel präsenter sein musste. Heutzutage kann man sich seine Szene suchen und irgendwie an der Schule das Metal-Kind sein, ohne irgendeinen Kontakt zur Metal-Szene zu haben, einfach, weil man die Bands hört und sich so anzieht. Und über das Internet hat man eh Zugriff auf alles Mögliche. Das heißt, dieser Szenebegriff hat sich ein bisschen dezentralisiert, glaube ich. Aber natürlich ist das was anderes, wenn ich auf einem Heisskalt-Konzert stehe, als wenn ich bei einem Samy Deluxe-Konzert bin. Da sind halt andere Menschen und ich glaube auch, dass es da relativ wenige Überschneidungen gibt. Ich bin irgendwie in beiden Welten drin, und das führt dann manchmal zu so kleinen Identitätskrisen, wo man sich nicht zu beiden, sondern zu keinem so richtig dazugehörig fühlt, und das ist irgendwie schade. Ich würde mir wünschen, dass Leute es eher so sehen, dass wie alle Musik geil finden, ohne dabei diesen Gemeinschaftsgedanken zu vernachlässigen. Und dass man auch weniger in so krassen Szenestrukturen denkt, mit gewissen Regeln, wie eine Band zu klingen hat oder wie man sich anziehen muss. Ich bin im Punk teilweise geschockt, wie die Leute wie alle anderen aussehen. Ich meine, ich zieh mich auch manchmal so an und ich find’s ja auch nice, und ich sag auch nicht, dass die das nur machen, weil es andere tun. Aber es ist schon irgendwie ein bisschen absurd, dass in einer Musikrichtung, in der es eigentlich um’s anders-sein geht, alle oft so gleich sind.

 

 

Wenn ihr in der Zeit reisen könntet, welchen Künstler/welche Künstlerin würdet ihr da treffen wollen?

 

Julius: Also ich würde safe mit Beethoven quatschen, weil ich ein großer Beethoven-Fan bin und der auch irgendwie ein Punk zu seiner Zeit war. Und Klassiker wie John Lennon oder Kurt Cobain fänd ich cool. Und Chester Bennigton. Aber ich finde, wenn wir schon so abgespacet sind und in der Zeit reisen, können wir auch die Macht haben und mit jemandem reden, der noch lebt. Und da würde ich richtig gerne mit zwei bestimmten Leuten über Musik reden, nämlich einmal mit Money Boy und einmal mit Dieter Bohlen. Ich glaube, die haben beide mega spannende Gedanken zu Musik. Money Boy kennt sich wie wenig Andere mit Ami-Rap aus den letzten 10 bis 15 Jahren aus und Dieter Bohlen… Keine Ahnung, irgendwie ist er da hingekommen, wo er jetzt ist. Der hat jetzt nicht keine Ahnung von Musik, aber er hat natürlich richtig viele Prinzipien hinter sich gelassen. Aber was hört der zu Hause für Musik? Was findet der gut? Fühlt der irgendwas bei Musik? Das fände ich irgendwie spannend.

 

Jakob: Ich würde gern Fritz Heinrich Klein treffen, ein Komponist, den kein Arsch kennt, damit ich eine gute Masterarbeit über ihn schreiben kann.

 

 

Und wie sieht jetzt die Zukunft von Tapas & Merlot aus?

  

Jakob: Ja, wie Julius am Anfang meinte, war unser Ziel eigentlich, dass wir ab Folge 10 so davon leben können. Ne Spaß, also wir haben uns sehr bewusst dazu entschieden, das Projekt einfach nur zu zweit zu machen, ohne dass dahinter irgendeine Firma oder ein Magazin steht. Das ist auch einfach so eine Spielwiese für uns und wir wünschen uns natürlich auch, dass das auch größer wird. Unsere Zukunft ist also noch total offen. Ich finde, wie wir es bisher gemacht haben, hat das ziemlich gut funktioniert. Vielleicht haben wir irgendwann nochmal Lust, uns richtig einen Gast einzuladen, aber das machen wir dann vielleicht mal, wenn sich das anbietet. Wir haben schon ein paar Ideen für Folgen und ich denke, die werden auch erstmal nicht abreißen, aber wir haben jetzt keinen Masterplan oder so. Und das ist ja auch das Geile daran.