FESTIVALINTERVIEWS 2022 // TEIL 2:

Gwen Dolyn & Toyboys @ Sundaze Open Air (Bensheim an der Bergstraße)


Gwen Dolyn & Toyboys aus Darmstadt kennt man für gefühlsstarke Songs zwischen Indie, Grunge und Post Punk. Neben den Veröffentlichungen einer EP, einer Vinyl sowie mehrerer Musikvideos haben sie 2022 vor allem eins gemacht: sich quer durch Deutschland gespielt.

 

Beim Sundaze Open Air in Bensheim (Bergstraße) war nach ihrer Show noch etwas Zeit für ein Gespräch mit mir  über die "Neue Neue Deutsche Welle", Piraten und der Bühne als Safe Space. Viel Spaß beim zweiten Teil der VOLUME Magazine Festivalinterviews 2022!


Eure Musik lässt sich irgendwo im weiten Indie-Kosmos verorten und hört sich je nach Song mal gefühlvoll, mal poppig, aber auch mal kratzig an. In diesem relativ breiten Soundmix spielt ihr mit Elementen aus Grunge, Post Punk und New Wave. Mit welchem Begriff könnt ihr euch denn am meisten identifizieren oder mit welchem überhaupt nicht?

Gwen (Gesang): Bei unserem gemeinsamen Projekt als Gwen Dolyn & Toyboys würde ich sagen, es geht in diese wavige Richtung ‒ vielleicht mit einem Einschlag Richtung Grunge und Indie Pop. Aber die Toyboys für sich sind natürlich schon eher ein bisschen post punkiger unterwegs…

Tilli (Bass): Es ist schwer zu sagen, weil wir uns an allen möglichen Genres und Stilrichtungen bedienen. Man könnte jetzt sagen, das ist vielleicht ein bisschen wahllos, aber dafür passiert halt auch viel Unterschiedliches in so einem Set von uns. Man weiß nicht direkt nach zwei Songs, was wir genau machen; da kommt immer eine Überraschung.

 

Es gibt auch diesen Begriff der „Neuen Neuen Deutschen Welle“. Könnt ihr damit etwas anfangen?

Gwen: Ja, ich finde es super interessant, dass der jetzt überall zu hören ist. Eric, der Sänger von Mamoré, hat den ursprünglich ins Leben gerufen. Mamoré sind meine neue Lieblingsband und inzwischen auch liebe Bekannte von mir. Auf jeden Fall hat Eric auch Musik mit Edwin Rosen zusammen gemacht, der ja dann während Corona mega bekannt geworden ist und irgendwie auch diesen Begriff „Neue Neue Deutsche Welle“ mitgenommen hat. Und wenn unter diesen Begriff eben Leute wie Mamoré, Edwin Rosen oder vielleicht auch Drangsal, Mia Morgan und diese Richtung fallen, dann finde ich schon, dass das zumindest für die deutschen Songs passt. Und es werden nächstes Jahr auch noch einige neue deutsche Lieder kommen…

Wo du es gerade ansprichst: Du hast Songs auf Deutsch, aber auch auf Englisch. Und auch auf der Bühne heute beim Sundaze Open Air hast du beides gespielt. Gibt es eine Sprache, mit der du dich wohler fühlst? Was für einen Unterschied machen diese Sprachunterschiede für dich als Künstlerin? Weil offensichtlich magst oder brauchst du ja beides, um dich auszudrücken.

Gwen: Hm, also bis auf einen Song habe ich die englischen Songs aus dem Set früher geschrieben als die deutschen Sachen. Ich schreibe mir zwar immer noch oft Dinge erstmal auf Englisch auf, aber mit Deutsch habe ich mich inzwischen irgendwie so eingegroovt. Auch gut, dass ich das jetzt auf Englisch sage haha: „eingegroovt“. Aber ja, ich muss sagen, ich mag das irgendwie, auf deutsch zu singen. Es ist halt viel direkter ‒ zumindest für deutsches Publikum. Und es ist auch für mich direkter; deswegen fühlt es sich manchmal auch intimer an und irgendwie verletzlicher und schneller auch irgendwie cringe.

 

Cringe und Grunge.

Gwen: Ja, ich glaube es geht in Richtung Deutsch. Wenn ich jetzt aber nochmal ein komplett neues Musikprojekt anfangen würde, könnte ich mir auch vorstellen, ein englisches zu machen.

 

Die meisten Songs von dir sind mit den Toyboys aufgenommen. Doch auch lokale Szene-Gesichter wie der Darmstädter Fotograf Nouki (Schlagzeug) oder Alex von Triorität (Schlagzeug)  waren schon an Studioaufnahmen von dir beteiligt. Seit zwei Jahren stehen nun du und die Toyboys fest zusammen auf der Bühne. Wie ist diese Zusammenarbeit zustande gekommen?

Tilli: Jörn, Robert und ich haben vorher schon seit zehn Jahren zusammen Musik gemacht. Irgendwann hatten wir dann so eine Phase, in der wir eigentlich keine Lust mehr hatten. Dieses ganze Bandleben mit all den Verpflichtungen, den Konzerten, dem Aufnehmen und so weiter... Dann haben wir einfach wieder für uns Musik gemacht. Als wir aber davon gehört haben, dass Gwen nach einer Band sucht, dachten wir, wir hätten irgendwie Lust darauf, das alles mal wieder in einem anderen Rahmen zu machen; wo wir eben nicht alles aus uns heraus machen, sondern wo wir Gwen dabei helfen, ihr Projekt auf die Bühne zu bringen. Das bringt natürlich auch ganz neue Herausforderungen mit sich auf eine schöne Art und Weise. In dem Ausmaß wie jetzt haben wir das alles vorher noch nicht gemacht…

Und seit Februar ist auch Daniel noch mit am Start. Wie hat das bei dir angefangen?

Daniel (Gitarre): Wir haben letztes Jahr die Kulturtankstelle in Darmstadt gemacht, dieses Stadtteilförderungs-Projekt. Da hat der Fred, ein guter Freund von der Bedroom Disco in Darmstadt, die Toyboys gebucht.

Tilli: Das war unser erstes gemeinsames Konzert mit Gwen.

Gwen: Genau, aber Daniel hatte da noch nicht mitgespielt, sondern hat unseren Ton gemacht. Vorher hatte ich solo Musik gemacht und die Toyboys unter anderem Namen.

Daniel: Und ich hatte ganz schlimmen Liebeskummer und habe Gwen einen Whisky besorgt.

Gwen: Ja, that‘s true. Und ich dachte: What the fuck? Warum ist der so ultra nett? Bestimmt bricht er mir bald mein Herz. Er ist so lieb!

Daniel: Ja, also meins war ja schon gebrochen… Auf jeden Fall sind wir dann irgendwann im Bus gelandet – oh Gott, das klingt good.

Gwen: Haha ja!

Daniel: Da haben wir dann auf jeden Fall wavvyboi gehört, das war damals so der Guilty-Pleasure-Song des Sommers und dann hat es gefunkt. Und irgendwann war ich dann in Offenbach im Proberaum und jetzt haben wir echt schon ´ne Menge Shows zusammen gespielt.

 

In den Texten geht es oft um gesellschaftskritische oder queerfeministische Themen. Und was ich besonders spannend finde: Oft hat eure Musik in meinen Augen einen sehr wohlfühlenden Charakter – trotz der Texte, die ja eigentlich auch immer ein bisschen wehtun. Gwen prangert Dinge an, doch in Texten und Musik gibt es auch viel Hoffnung. Was macht mehr Spaß: das Auskotzen oder das Hoffnungsvolle?

Gwen: Also auf der Bühne macht Auskotzen auf jeden Fall mega Spaß. Was Songs angeht, ist es schon gut, auch mal was rauszuschreien. Aber nicht unbedingt bei Ansagen; da sag ich eigentlich lieber was Fröhliches und Freundliches, auch je nach Stimmung. Es passiert einfach so, wie ich in dem Moment bin. Und das ist auch irgendwie die einzige Möglichkeit, die ich so in den letzten Jahren für mich etabliert habe, durch die Welt zu gehen. Ich versuche einfach so zu sprechen, wie ich mich fühle und wie ich bin. Ich denke, damit kann ich auf jeden Fall auch anecken. Und es fällt mir überhaupt nicht leicht, anzuecken. Ich finde das total unangenehm. Aber ich tu's halt einfach. Es passiert einfach so.

Dazu kommt, dass deine Texte oft auch sehr persönlich sind. Wie war das am Anfang, diese Gefühle mit so vielen Menschen live zu teilen?

Gwen: Bevor ich Auftritte mit den Toyboys gespielt habe, ging es mir wirklich immer richtig schlecht. Auch tagelang vor den Auftritten. Das war für mich, als würde ich strippen. Aber inzwischen habe ich mich irgendwie total daran gewöhnt. Und gerade jetzt, wo wir so viel spielen, bekomme ich auch so viel Rückmeldung, bei der ich immer wieder merke, wie weit doch Eigen- und Fremdwahrnehmung auseinandergehen können. Und dass viele Dinge, die ich so empfinde, auch gar nicht so ankommen.

Daniel: Ich vergleiche das immer so mit einer Crew auf einem Piratenschiff. Das ist so viel Zeit, die man miteinander verbringt. Und man weiß, auf die Leute rechts und links kann man sich verlassen; man ist einfach aufeinander eingespielt. Es ist ja eigentlich ein hoch unsicherer Moment: Man stellt sich auf eine Bühne, man hat durchsichtige Sachen an und eigentlich denkt man sich: Oh mein Gott, ich würde das nie tun! Aber dann guckt man nach rechts und links und sieht die anderen. So ein eigentlich unsicherer Ort entwickelt sich dann zu einem Safe Space. Tatsächlich fühl ich mich meistens am wohlsten auf Bühnen, obwohl es vom Gefühl her die schlimmste Situation der Welt ist. Aber das funktioniert mit einem guten Bandgefüge einfach. Das haben wir uns irgendwie erarbeitet, beziehungsweise erspielt.

Gwen: Mega gut ausgedrückt.

Daniel: Und wir sind ja eine kleine Band, die jetzt nicht im Nightliner fährt. Das heißt, wir haben wenig Luxus und man ist auf engstem Raum unter schwierigsten Bedingungen wochenlang oder tagelang zusammen; fährt elf Stunden Auto und schläft kurz neben LKWs, weil man nicht mehr kann. Und trotzdem ist es irgendwie ein richtiger Safe Space. Und das liebe ich. Das brauche ich ganz, ganz doll.

Tilli: Ja, geht mir genauso. Ich merke das auch immer auf der Bühne. Daniel und ich stehen ja nebeneinander und können uns quasi anspielen und uns gegenseitig die positive Rückmeldung geben, dass das gerade sau Bock macht.

 

Ich finde, das merkt man euch auch an beim Spielen. Dass ihr Spaß habt und es genießt, das zusammen zu machen.

Gwen: Es ist tatsächlich auch das erste Mal, dass ich das so erlebe. Ich habe schon öfter versucht, mit anderen Leuten Musik zu machen, bin dann aber doch immer wieder dazu gekommen, es alleine zu machen und habe es auch nie so professionell gemacht. Doch seit ich mit Toyboys spiele, habe ich eigentlich das erste Mal in meinem Leben die Erfahrung, selbst wenn off stage alles im Argen ist oder auch wenn es in der Band manchmal Querelen gibt: Auf der Bühne funktioniert es irgendwie und das ist echt viel wert.

Daniel, du hast eben gemeint, ihr seid eine kleine Band. Ich finde ja inzwischen kann man euch schon in dieser Szene als eine Nummer zählen, die Gewichtung findet.

Daniel: Kannst du das mal meinen Eltern sagen?

 

Neulich habt ihr auch mit Drangsal gespielt.

Tilli: Drangsal war das Highlight für mich – in der vollen Batschkapp in Frankfurt.

Gwen: Ja, das hat super Spaß gemacht.

Tilli: Wir haben dieses Jahr auch echt mit tollen Bands gespielt.

Gwen: Tilli ist auch immer so brutal wohlwollend und hyped eigentlich alle Bands, mit denen wir spielen.

Tilli: Ja, ich finde das ist eine Form von Wertschätzung. Wir sind da zusammen im Backstage und es ist mir extrem wichtig, dort allen Leuten zu vermitteln: Hey, ich habe dich wahrgenommen, ich hab‘ eure Musik wahrgenommen und ich schätze es Wert, dass ihr eure Energie da reinsteckt. Auch so unter peers, die alle in demselben struggle sind…

 

Anfang des Jahres habt ihr zusammen die EP „Komm schon!“ rausgebracht, 2020 gab’s von Gwen die Solo-EP „Things To Tell A Crying Girl“ und dann gibt es noch die neue selftiteld-Vinyl von Gwen, mit allen Songs, die du bisher veröffentlicht hast. Da ist auch der Song „Girlscout“ drauf, der gleichzeitig nochmal als Single rauskommt. Allerdings neu aufgenommen, obwohl du das Lied dieses Jahr schonmal veröffentlicht hast, oder? Was hat es damit auf sich?

Gwen: Nicht ganz. Auf der EP war der Song relativ lang, deswegen kam er jetzt nochmal bearbeitet, also als Radio Edit. Es ist einfach so ein geiler Song, so viele Leute mögen den und ich spiel den auch super gerne mit der Band. Ein Freund von mir, mit dem ich ein neues Projekt angefangen habe, hatte mir tatsächlich gesagt, der Song könnte nochmal ein bisschen mehr Gehör finden. Und da es bei Spotify im Endeffekt ja jetzt sowieso immer mehr so ist, dass nur die gepitchten Songs wirklich gehört werden, wenn du keine große Band bist, hab ich gedacht, ja das muss ich eigentlich nutzen. Zu dem Song gibt es auch ein Musikvideo.

 

Und ihr, Toyboys, bringt auch nochmal neue Musik raus.

Tilli: Genau, das ist eine kleine EP mit sieben Songs und dem Namen „Bliss Factory“, die wir zu dritt gemacht haben. Einen Song davon haben wir auch teilweise schon live gespielt, das ist ein Lied von Jörn und heißt „I don’t know“.

Gwen: Den haben wir auch schon zusammen gespielt.

Tilli: Genau. Auf Youtube gibt es auch ein paar Videos dazu. Die EP kommt aber auch auf Kasette raus bei dem tollen Label George Korea aus Offenbach/Frankfurt. Das sind sehr tolle Leute, die sehr tolle Sachen machen!

Gwen: Ein kleiner Tilli-Hype zum Schluss nochmal.


Bilder: Kevin Henrich

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