Zugezogen Maskulin, Blond [5.5.18]

Über Instagram, Helene Fischer und die aktuelle Entwicklung im Deutschrap


Willkommen zum ersten Eintrag auf diesem Blog zu einem HipHop-Act. Dieses Mal geht es um eine Perle des Deutschraps. Eine schmutzige Perle, schon zerkratzt und schäbig, aber dennoch gewillt, den Rest der Szene zu blenden; als Spiegel der Übertreibung und der Ironie. Zugezogen Maskulin auf Tour mit ihrem Album "Alle gegen Alle":

Der Abend beginnt mit einem Dosenbier und vielen Studenten irgendwo auf der Zeil in Frankfurt. In dem kleinen Club ist es eng und etwas düster, doch es herrscht eine offene Atmosphäre. Wir haben einen guten Platz recht weit vorne in der Mitte gefunden. Es ist das zweite Mal, dass ich Zugezogen Maskulin sehe, umso größer ist die Aufregung - die beiden Rapper liefen bei mir die letzten Wochen und Monate auf Dauerschleife. Gerade bei HipHop kann man sich wohl erst nach einer gewissen Zeit ein richtiges Urteil über die Musik, ihren Text und dessen Message bilden. Doch dazu später mehr - zunächst einmal fällt mir auf, wie erschreckend viel doch eine Vorband über den Mainact der Veranstaltung aussagt. Blond ist wie das Ambiente, Zugezogen Maskulin selbst und der HipHop-Gedanke an sich: alternativ. Nach einer kleinen Ansage von grim104 höchstpersönlich, der zusammen mit seinem Kollegen Testo die Band Zugezogen Maskulin bildet, kommt die Vorband auf die Bühne. Sie besteht aus zwei sehr jungen Frauen und einem jungen Kerl, dessen Äußeres ungewöhnlich aber gleichzeitig mit einem gewissen Akzent von Coolness und Einzigartigkeit daherkommt. Ihre Texte sind auf deutsch, ihre Musik ist indie & rockig. Doch ihr Auftritt ist alles andere als gewöhnlich. Nicht nur optisch ist die neuartige Band besonders, auch musikalisch zeichnen sich die drei durch eine gewisse Vielfältigkeit aus und versuchen sich gegen Ende hin sogar an HipHop. Der offenbar blinde Bassist greift auch mal ans Keyboard und die beiden Mädchen strotzen nur so voller Energie und Selbstbewusstsein. Zugezogen Maskulin haben sich mit Blond eine bewusst alternative Vorband geholt; scheinbar betont unüblich für's "Rapgame", doch (wie das Publikum bestätigt) mit großem Erfolg. Der Auftritt von ZM hat noch nicht einmal angefangen und die Rapper haben sich bereits jetzt von der üblichen Gangart ihrer Mitstreiter in der Rapszene distanziert. Eine klare Ansage, die, wie ich finde, Stil hat.

 

Gleich beim ersten Lied der beiden Rapper entwickelt sich der Publikumsraum vor der Bühne zu einem gewaltigen Schlachtfeld des Pogens. Die Masse springt und schubst sich zu den Klängen der trapartigen Beats und den Stimmen der beiden Rapper. Es ist eng - sehr eng; und schon bald hat man die Übersicht darüber verloren, ob man den eigene Schweiß oder den eines der jungen Leute um sich herum an seiner Haut spürt. Doch genau so stimmt die Atmosphäre. Zugezogen Maskulin finden wie schon im vorherigen Album auch textlich die richtige Waage zwischen Assozialität/Radikalität und Intellekt. Ihre politischen, gesellschafts- und szenekritischen Texte finden auf den bassigen Beats eine unterstützende Unterstreichung der Aussagekraft. Diese sind zudem extrem gut produziert und weit mehr als "stumpfe" HipHop-Beats. Teilweise wieder recht ausgefallen erscheinen sie aber im Ganzen dennoch etwas gemäßigter als die des Voralbums. Neben Einspielern wird auch wieder mit Samples gearbeitet. Wie schon bei meinem letzten Konzert der Band 2015, spielt auch dieses Mal der DJ auf mehreren Beats gelegentlich mit seiner E-Geige mit und sorgt damit für noch mehr Abwechslung.

 

Insgesamt ist das neue Album der Rap-Gruppe eine Bündelung von Kritik und Überzogenheit über so ziemlich alles und jeden in der derzeitigen Deutschrap- und Internetlandschaft. "Alle gegen Alle" zieht über gesellschaftliche Konventionen der jungen "Instagram-Generation" her und lässt so manche Vorlieben und Ambitionen lächerlich aussehen, die jeder junge Mensch aus dem Reich der sozialen Netzwerke kennt. Auch für ihre Rap-Kollegen haben ZM nicht viel übrig. Nicht nur in ihren Songs, sondern auch auf der Bühne zeigen sie, was sie von der aktuellen neuen "HipHop"-Welle halten, die mit primitiven Texten und Protz zusammen mit den auf Profit orientierten Influenzern der sozialen Medien in eine Schublade gesteckt werden und beide gleichermaßen durch überspitzte Formulierungen und Beschreibungen kritisiert werden. Zumindest was die Influenzer angeht, trägt genannte Schublade wohl die Aufschrift "Jahrhundert vom Triumph des guten Willens"; zumindest wenn man den Texten von grim104 Gehör schenkt. Politische Korrektheit, weiße Zähne, Bio-Ernährung, Fitnessstudio und ein rundum perfektes Leben mit vielen Reisen an die wundervollsten, schicksten (und teuersten) Orte der Welt sind das Anstrebsame eines jeden Instagramers, wenn er in's Bild der modernen und digitalen Gesellschaft passen möchte. Anstatt sich den wirklichen Problemen der Welt zu widmen, interessiert sich die junge Generation nur noch für Sneakers, Bio-Burger, Craft-Bier und Luxus-Modemarken. Man stellt sich und sein makeloses Leben im Internet zur Schau und versteckt dabei all' das, was schlecht ist bzw. was von der Gesellschaft nicht anerkannt wird. Bauchansatz, Schönheitsmakel, Alterserscheinungen (-> 'Stirb!') und menschliche Triebe (-> 'Vor Adams Zeiten') sind Beispiele dafür.


"Konkurrenz hat tausende Fans, tolle Reise, in nem Borchardts hängen,

Soho house, du fliegst raus, dein Fahrstuhl-Selfie lacht dich aus."

 

"Maximier die Schnappschussquoten, Blitze zucken durch die Tropen,

krankes Lachen, Wanderlust, Land abhaken, du bist Boss!"    (aus 'Stirb!')

 

"Stattdessen muss ich leben zwischen Instagram- und Twitterstars,

retuschierte Plastikmenschen, Diktatur der Follower.

Tja, eig'ne Marke pushen, Zähne zeigen, Kampf um jeden Like,

und wer's nicht ansieht wird zum Feind."    (aus 'Alle gegen Alle')


Dass das Überspielen genannter Eigenschaften auf Social-Media verbunden mit dem zwanghaften Gefühl immer und überall alles Schöne digital festzuhalten und natürlich auch präsentieren zu müssen bei vielen schon lange nicht mehr aus reiner Laune zur Selbstdarstellung hervorgeht, lassen die beiden Rapper ebenso nicht unerwähnt. Das Posten wird zur Pflicht; jedes nicht dokumentierte Dinner im Trend-Restaurant ein Versäumnis der Reichweitenmaximierung. Dieser Druck bleibt nicht folgenlos und da ein Instagram-Feed, der nicht von oben bis unten einen perfekten Lifestyle zur Schau stellt, für die Masse nicht mehr lebenswert (oder besser, nicht mehr "folgenswert") zu sein scheint, so ist der einzige Lichtpunkt am Ende des Social-Media-Tunnels das Älterwerden. Wer alt ist, muss nicht mehr arbeiten. Denn genau das ist das Posten, Liken und Verlinken für viele junge Leute inzwischen; viele verdienen schließlich auch ihr Geld damit. Ob "alt" hier Ü60 oder gar Ü30 meint, ist natürlich eine andere Frage... Fakt ist aber: Influenzer sein bedeutet gleichzeitig, einen Job zu haben, der keinen Feierabend kennt. Alles muss dokumentiert werden - eine Möglichkeit auf eine angesagte Veranstaltung darf niemals ausgelassen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob man selbst dazu Lust hat, sondern vielmehr, wie viele "fame" Leute theoretisch auf der Veranstaltung anzutreffen sind - für spätere gemeinsame Bilder samt Verlinkungen versteht sich. Reichweite und Aufmerksamkeit dominieren das digitale Denken. Dabei wird wohl viel zu oft vergessen, den Moment an sich zu erleben - und ihn nicht damit zu verbringen, mit dem Smartphone den besten Kamerawinkel zu finden...

Abschließend kann man sagen, Zugezogen Maskulin treffen mit ihrer ironischen und ausdrucksstarken Sprache den Zahn der Zeit und lassen den Zuhörer die ein oder andere Gewohnheit des Social-Media-Lebens noch einmal überdenken.


 "Also Schluss mit dem Party schwänzen,

lass dich verlinken mit wichtigen Menschen!

Wenn jede Zelle nach der Couch schreit,

schau auf die likes - time of your life!"

 

"Spaß haben ist ein Scheißjob, aber einer muss ihn machen,

eines Tages werden wir alt sein - kann's kaum erwarten"    (aus 'Stirb!')


Genannte Instagram-Influenzer wirken nun mit ihren inszenierten Beauty-Travel-Fashion-Fitness-Lifestyle-Content und einem Gymbag auf dem Rücken vor dem Starbucks genauso lächerlich wie die in 'Yeezy Christ Superstar' beschriebenen Rapper der neuen Welle, die sich anstatt mit Grafitti, Kiffen, Breakdance oder dem Auflehnen gegen gesellschaftliche Zwänge nun vielmehr mit Modemarken, teuren Schuhen und Geldscheinen vor einem gemieteten Sportwagen zu inszenieren und identifizieren versuchen.


"HipHop hieß auf einmal unsre Väter haben Geld

und wir campen für die Yeezies vor dem Solebox in nem Zelt"

 

"Hexenjagd quer durch die Bürgertumpresse

Jugend in Flammen, wir war'n Teil einer Sekte.

Sägeblatt-Shirt, alle Spießer empört

heute schleppst du mich zum Ku'damm und willst zu ihn' gehörn"

 

"Jordans hatte ich mal an; Karneval als Astronaut"    (aus 'Yeezy Christ Superstar')


Trotz dieser Leitgedanken, welche das Album ohne Frage weitestgehend dominieren, gibt es zudem mehrere Songs, die ähnliche gesellschaftliche Themen unserer Zeit behandeln, wobei sich teilweise auf die Hauptgedanken bezogen oder sogar daran angeknüpft wird. So wird neben 'Steffi Graf' und 'Yeezy Christ Superstar' auch in 'Nachtbus' die aktuelle Entwicklung des HipHops kritisiert; doch zudem findet hier auch eine humorvolle Gegenüberstellung des Stadt- und Landlebens statt, zusammen mit den Spannungen, Unterschieden und grims Schluss daraus: " Ich hass' sie alle". In 'Vor Adams Zeiten' sprechen die beiden Rapper über unterdrückte Triebe und dem Menschen als Tier - nicht angepasst an die Welt der Postmoderne, wo Triebe der Natur unerwünscht sind und nicht in das Bild des modernen Menschen wie er zu sein hat passen.


"In mir ist die Steinzeit und der Krieg und die Geilheit
und der Trieb und die Angst, dass das irgendeiner sieht"    (aus 'Vor Adams Zeiten')


Ein weiterer Themensong ist 'Teenagerwerwolf', welcher über die Perspektivlosigkeit Jugendlicher in einer Zeit, in der Punk als Szene keine Bedeutung mehr hat, erzählt, sowie "Steine & Draht", dem letzten Song des Albums. Wie schon beim vorangegangenen Album ist dieser ruhig und stimmungsvoll gehalten. 'Steine & Draht' erzählt über die Eindrücke der Nachkriegszeit in Deutschland - einmal aus BRD- und einmal aus DDR-Sicht. Grim und Testo nehmen hier die jeweiligen Erzählerrollen ein, welche sie teilweise sehr emotional zum Ausdruck bringen, was zusammen mit dem großartigen Beat für ein atmosphärisches Feuerwerk als Abschluss des Albums sorgt.

 

Anders als viele bewährte Größen des Deutschraps legen Zugezogen Maskulin bei ihren Texten anstatt auf lyrische Technik lieber auf Texte mit Inhalt - so viel sollte bereits klar sein. Dass sie dennoch viele originelle Sprachelemente benutzen, um die Aussagen ihrer Texte zu verstärken,  sollte man dabei aber nicht übersehen. Sie arbeiten hierbei mit auffällig vielen Metaphern und Bildern wie beispielsweise dem Werwolf in "Teenagerwerwolf", der den wütenden, nicht mehr kontrollierbaren Teenager verkörpert; verzweifelt und perspektivlos einerseits, andererseits nicht nur mit seiner Zeit, sondern auch mit sich selbst überfordert.

Ein weiteres Beispiel lässt sich zu Beginn des Liedes 'Stirb!' finden. Hier heißt es:


"Eines Tages werden wir alt sein Baby, alt so wie ein Baum,

durch den Stamm zieh'n sich die timelines und die Krone macbookgrau" (aus 'Stirb!')


Wie bei einem Baum, an dessen Jahresringe man die Witterungsverhältnisse der verschiedenen Jahre ablesen kann, so ist der moderne "gläserne" Mensch ein transparentes Objekt ohne Geheimnisse. Alles, was Relevanz besitzt, wird auf Facebook oder Instagram geteilt - wenn man etwas über eine bestimmte Person wissen möchte, reicht ein Blick auf dessen Online-Profil.  

Doch zurück zum Konzert: Zwischen den Songs kommt man gerade so zum Durchatmen, denn die Bereitschaft zum Pogen zur Musik ist extrem hoch und gleichermaßen angebracht, wenn man Härte der Texte und Beats, sowie die Emotionalität vieler Songs betrachtet. Wie schon bei anderen Konzerten von Rappern mit Trap-Beats empfinde ich jedoch auch hier den Moshpit als eher harmloser. Anders als in der Rock- und Metalszene scheint das Pogen hier vielmehr ein "gemeinsames Hopsen" als ein echter Tanzstil zu sein. Wie auch immer - es herrscht jedenfalls gute Stimmung im Publikum, die Setlist ist gut ausgewählt mit auch mehreren älteren Songs und einem gesunden Spannungsbogen aus ruhigeren Liedern und solchen zum Abgehen. 

 

Im Vergleich zum vorangegangenen Album wird bei den neuen Liedern recht viel Autotune benutzt - auch live. Im Groben und Ganzen klappt das auch meistens, doch ab und zu verirrt sich die Stimme dann doch etwas, was, auch wenn man das allgemeine Chaos im pogenden Publikum, den Schweiß und die lauten Beats mal ignoriert, nicht mehr ganz so harmonisch klingt wie auf den Albumversionen, bei denen die Gesangseinlagen meistens noch in Ordnung sind.

 

Ab und zu frage ich mich, ob die grölenden und tanzenden Leute um mich herum sich ebenfalls ein paar Gedanken zu den Texten von ZM machen, oder die Band einfach nur aus musikalischer Sicht feiern. Insgesamt sind die Texte von Zugezogen Maskulin nicht immer leicht zu erfassen. Gerade beim ersten Hören ist es auch einfach zu viel. Die Texte sind voller Anspielungen, Zitaten, Wortwitz und nicht selten benötigt man zudem ein gewisses Hintergrundwissen um bestimmte Zeilen zu verstehen. Für viele Lines braucht man durchaus mehrere Male, um sie zu verstehen. Doch ich denke, gerade das zeichnet einen wirklich guten Text aus. Es beweist, dass an ihm gefeilt wurde; er genau das ausdrückt, was er ausdrücken soll und weit mehr ist, als ein inhaltsloser Brei an Worten, der ausschließlich dazu dient, die Stimme als Instrument gemeinsam mit einer gehörigen Portion Auto-Tune benutzen zu können, wie es bei vielen neuen Rappern der Fall ist. Grim und Testo verstehen es, mit ihren ironischen Übertreibungen Bilder zu malen, die man begreift, ohne dass zuvor mit vielen Worten der Umstand beschrieben werden musste. 

 

Doch ZM ist auch hart - sind in ihren Texten nicht kleinlich oder gar zurückhaltend. Was gesagt werden muss, wird gesagt, in alter HipHop-Manier mit der nötigen Radikalität und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Lines wie "Für immer jung wie Money Boy, für immer hype wie das Hakenkreuz" fallen auf ohne wirklich kritisiert werden zu können. Doch auch so können die beiden Rapper gut provozieren und landen in ihrem Song 'Steffi Graf' mit einer Parodie einen guten Punsh gegen den ebenfalls deutschen Rapper RIN. Dieser steht symbolisch für jene HipHop-Generation aus jungen, (schein)reichen Rappern mit Supreme und Gucci anstatt Individualität und Texten mit Inhalt. Später im Song heißt es sogar "inhaltslose deutsche Wohlfühlkacke wie Helene" (und wie wir alle wissen, sollte man bei Schlagervergleichen wirklich vorsichtig sein).

 

 

Generell ist es durchaus interessant, das Verhältnis der beiden Rapper zur HipHop-Szene an sich zu betrachten. Anders als der genannte Vergleich mit dem deutschen Schlager vermuten lässt, zeigt die dazugehörige Hook ("Das hier ist kein Dada, das hier ist kein Spaß! Zugezogen Maskulin die Wolken bleiben schwarz"), dass grim und Testo hier zumindest differenzierter sehen als man auf dem ersten Blick vermuten könnte. Es scheint, als ob sie RIN und Co. in einen Topf schmeissen, was sie grob gesehen zwar auch machen, jedoch unterscheiden sie zwischen den albernen, kunstlosen und relativ talentfreien Rappern, die den Hype nutzen, um mit ihren Stil auf den Trendzug auf zu springen und denjenigen, deren Werke man tatsächlich einer musikalischen Art des Dadaismus in Rapform zuordnen könnte. Wie auch immer ihre Texte letztendlich gemeint sind - es bleibt ohne Frage schwierig in jener Szene eine Grenze zu ziehen zwischen ironisch angehauchter Übertreibung, ästhetischer Kunst und "ernstgemeinter Niveaulosigkeit". Doch letzten Endes bleibt all' das wohl ohnehin eine Geschmackssache. Wie auch immer - es scheint festzustehen, dass ZM alle Kreationen, die die neue HipHop-Welle hervorbringt, verachten - egal ob Dada- oder Spaß-Rapper. Doch Zugezogen Maskulin wären nicht Zugezogen Maskulin wenn es nicht doch immer noch Potential für Zweifel und Diskussionen über ihre Texte gäbe. Da wäre beispielsweise das Feature mit Rapper Lgoony, eine deutsche Bekanntheit, dessen Songs sich am ehesten dem Cloudrap zuordnen lassen, und der sogar in seiner Heimatstadt Köln während der Tour mit auf der Bühne stand. Liegt es nur an seinen ebenfalls szenekritischen Texten? Überdeckt das schon seine Zeilen über Geld, Mode- und Luxusmarken? Was Zugezogen Maskulin wirklich denken wird wohl für immer ein Rätsel bleiben, doch das macht sie auch aus; ihre Texte sind vielfach interpretierbar. In der Hook von 'Steffi Graf' heißt es wie oben bereits erwähnt: "Zugezogen Maskulin - die Wolken bleiben schwarz". Man kann es im direkten Widerspruch zu Materias bekannten Rap-/Pop-Song "Bis die Wolken wieder lila sind" sehen, was auch eine Abgrenzung der Entwicklung zur Popularmusik des HipHops bedeuten würde. Ein weiteres Beispiel: Das kurz eingeschobene "Du bist Boss" in Testos Part von 'Stirb!kann als Anspielung auf Kollegahs bekannten Song verstanden werden, mit dem er für Viele in Kritik geraten war als "Mutmach-Idol" sehr jungen Publikums (im Kontrast zum harten "ernsten" Rapper). Kollegah ist ebenfalls sehr aktiv auf Instagram und postet dort regelmäßig "Stories". Man kann jene Stelle aber auch als Zufall sehen. Ebenso gibt es eine womögliche Anspielung an die Antilopengang im Song 'Yeezy Christ Superstar' ("Ich bin ein Stück Dreck"). Auch die beiden meiner Meinung nach fragwürdigen Promovideos von ZM, ein Überlebenstraining als Soldaten und ein Besuch in einem Schönheitssalon, in dem die beiden ihrer Körperbehaarung erleichtert werden, lassen sich nicht wirklich einordnen. Die Frage bleibt, wo zwischen Verhalten in den Promovideos und Interviews, Bühnenperformance und Songtexten die wirkliche Meinung der beiden Rapper liegt. Grim und Testo lassen Raum für Spekulationen und alle Formen der Interpretation - bewusst. Denn so, das verraten sie in einem Interview, macht es ihnen am meisten Spaß. Es wäre ja auch langweilig, seine Meinung klar und deutlich zu formulieren. Wo bliebe da schon der Reiz, die Kunst?

 

Man kann aber auch ganz klare Linien zu anderen Rappern ziehen. "Hipster Hass" ist an sich nichts Neues im Deutschrap. 2014 veröffentlichte der Berliner Fler einen Song mit gleichnamigen Titel, in dem er gegen MC Fitti & Casper, gegen Club Mate, Yoga und Röhrenjeans rappt. Durchaus "härter"; doch Zugezogen Maskulin (dessen Namen nebenbei erwähnt auf einer Parodie von Flers Labelnamen basiert) wirken mit ihren verschachtelten Anspielungen und Vergleichen doch nochmal ein gutes Stück intellektueller und ernstzunehmender. Wortgewandtheit und Stilmittel wie Ironie & Übertreibung lassen die Texte von ZM zudem auch besser punshen. 

 

Ich könnte noch stundenlang weiterschreiben, Textzeilen zitieren und interpretieren, aber ich denke, dieser Blogeintrag ist jetzt schon etwas lang. Es bleibt zu sagen, dass Zugezogen Maskulin ein gutes Konzert und ein noch besseres Album abgeliefert haben, was Hoffnung setzt, dass deutscher HipHop noch nicht komplett inhaltslos und Mainstream geworden ist. Einzig und allein die Gesangseinlagen lassen, besonders live, ob mit oder ohne AutoTune zu wünschen übrig.

 

Die sehr aktuellen Texte sind intelligent, kreativ aber auch tiefgründig, hart und vor allem eins: treffend. Mit am besten gefällt mir der Song 'Stirb!', der einen (ähnlich wie 'Oranienplatz' auf dem vorigen Album) erst einmal stocken lässt. Doch mit der Zeit erschließt sich, dass hier durch radikale Übertreibung der gesellschaftlichen Seite die Probleme erst wirklich offengelegt werden. Bei 'Oranienplatz' sind es Fremdenhass & Nationalismus ("Wir ha'm viel zu viel um euch was abzugeben" und "Kauf' ich Schuhe von Nike oder Adidas? Solche Fragen quäl'n mich während du 'ne schöne Bootstour hast"); bei 'Stirb!' der gesellschaftliche Zwang zum perfekten, schönen Leben, wie es zu sein hat ("Du bist faltig, alt, deprimiert? Tu' uns all'n den Gefallen und stirb! Du bist arm, du bist krank du bist fett? Tu' uns all' den Gefall'n mach dich weg! Stirb!). Wie sie in einem Interview sagen, müsse Kunst halt auch mal weh tun. Wenn man sich mit einer Problematik auseinandersetzt in der Kunst, müsse man eben auch mal schreien. Diese Erkenntnis zeigen sie in ihrer Musik auch gerne öfter.

 

Das Album "Alle gegen Alle" kann ich abschließend also jeden wämstens empfehlen, der HipHop, der gut in's Ohr geht mit gleichzeitig guten Texte, zu schätzen weiß.

 

 

 

 

 

Vielen Dank, dass Du bis hierhin gelesen hast :) Unter Chronologie findest Du alle meine anderen Artikel. Auf Instagram und Twitter gibt's außerdem noch mehr rund um Musik sowie News um diesen Blog hier.

 

Jetzt kann ich Dir noch diesen sehr sehnenswerten Clip von 'Blond' empfehlen:

https://www.youtube.com/watch?v=JhlqdGd1GlQ

 

 

Danke und bis zum nächsten Mal :)